Pflegen

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Täglich kümmern sich Pflegefachleute und Privatpersonen stationär, ambulant oder zu Hause um das körperliche und geistige Wohl kranker Menschen. Im 20. Jahrhundert verändert sich die Krankenpflege grundlegend: Die Technisierung der Medizin schreitet seit den 1970er-Jahren voran und erweitert das pflegerische Aufgabenfeld. Pflegediagnose, Patientenüberwachung oder der Umgang mit chronisch Erkrankten treten neben die fürsorgerischen Tätigkeiten. Aus der typisch weiblichen Hilfstätigkeit und dem christlichen Liebesdienst entwickelt sich ein eigenständiger Beruf mit einem vielfältigen Aufgabenbereich, der eine umfassende Ausbildung verlangt.

Von der Berufung zum Beruf

Noch um 1900 ist die Pflege fest in der Hand kirchlicher Orden, die oft vertraglich an Spitäler gebunden sind und nahezu das gesamte Pflegepersonal stellen. Nur langsam etablieren sich konfessionslose Schulen: 1899 gründet das Schweizerische Rote Kreuz in Bern eine erste Pflegerinnenschule. Hier lernen Frauen, als Pflegerinnen für die Gesellschaft tätig zu sein.

Im 20. Jahrhundert erfährt der Pflegeberuf eine Professionalisierung und Akademisierung. Der Prozess dauert lange: Erst 1992 werden in der Schweiz die Ausbildungsbestimmungen und Inhalte für Pflegeberufe vereinheitlicht. Sieben Jahre später schliessen die ersten Pflegewissenschaftlerinnen ihre Ausbildung ab. Heute wird Pflege an Berufsschulen, Höheren Fachschulen und Universitäten gelehrt.

Ausgezeichnete Schwestern

Nach erfolgreich abgeschlossener Ausbildung erhalten Pflegerinnen noch im 20. Jahrhundert neben einem Diplom ein Pflegeabzeichen. Es symbolisiert die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schule und stellt Hierarchien her. Hilfsschwestern oder Pflegerinnen in Ausbildung tragen keine Abzeichen. Das Emblem der Rot-Kreuz-Pflegerinnenschule im Berner Lindenhof trägt den lateinischen Schriftzug «Inter Arma Caritas» (Menschlichkeit zwischen Waffen) – bis 1961 das Motto des Internationalen Rot-Kreuz-Komitees.

Lehrmittel aus Wachs

Nicht nur Ärztinnen und Ärzte, sondern auch die Pflegefachpersonen müssen Krankheitsbilder erkennen. Das erforderliche Wissen wird in der Ausbildung vermittelt. Als Anschauungsmaterial dienen seit dem 19. Jahrhundert Moulagen: dreidimensionale, farbige Wachsnachbildungen, die Krankheiten realistisch wiedergeben. Im 20. Jahrhundert werden sie von Farbfotografien verdrängt, erleben in den letzten Jahren aber eine Renaissance. Moulagen zeigen häufig Hauterkrankungen oder auch verschiedene Arten des Säuglingsstuhls, dessen Beurteilung in der Kinderkrankenpflege wichtig ist.

Statussymbol oder Arbeitsinstrument

Anfang des 19. Jahrhunderts nutzen Ärzte erstmals einfache Holzrohre, um den menschlichen Körper abzuhören. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts erhalten Stethoskope die heute noch übliche Form: ein Bruststück, biegsame Schläuche und zwei Ohrstücke. Es wird zum Erkennungsmerkmal des Arztes, der es immer bei sich trägt. Bereits in den 1930er-Jahren horchen auch Pflegerinnen damit Blutdruckgeräusche routinemässig ab. In den 1960er-Jahren kommt sogar ein eigens für sie entwickeltes pastellfarbenes «Nursescope» auf den Markt.

Wie viele Pflegerinnen und Pfleger arbeiten im Inselspital?

1852: 18 Pflegerinnen

1910: 63 Pflegerinnen

1928: 80 Pflegerinnen

1938: 105 Pflegerinnen

1948: 148 Pflegerinnen

1958: 235 Pflegerinnen und Pfleger (218 Frauen, 17 Männer)

1989:

  • 938 Pflegefachpersonen (893 Frauen, 45 Männer)

  • 139 Pflegerinnen und Pfleger

  • 301 Spitalgehilfinnen und Spitalgehilfen

2020: 3195 Pflegefachpersonen

Wärter, Schwestern, Pflegefachfrauen

Bis heute üben meist Frauen den Pflegeberuf aus. Das war nicht immer so: In der Vormoderne kümmern sich auch männliche «Wärter» und Mönche um die Bedürftigen. Erst als im 19. Jahrhundert Krankenhäuser entstehen und sich die bürgerliche Vorstellung der wohltätigen Frau verfestigt, wird die Pflege zu einer typisch weiblichen Tätigkeit. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein zeigt sich das am Begriff der «Krankenschwester» sowie an der Berufskleidung: Sie geht auf die Tracht der Ordensschwestern und Diakonissinnen zurück und symbolisiert die selbstlose Aufopferung. Heute haben sich Pflegende weitgehend von solchen idealisierten Vorstellungen gelöst. Was die Pflege aber seit Beginn prägt, ist der Personalmangel, die unzureichende Bezahlung und die herausfordernden Arbeitsbedingungen.

Unter der Haube

Die Uniform der «Krankenschwester» besteht aus einem Kleid, einer Schürze sowie einer Haube und einer Brosche. Diese sogenannte Schwesterntracht prägt das Bild der «Krankenschwester» für Jahrzehnte. Erst seit den 1970er-Jahren wird der Ruf nach funktionaler und insbesondere hygienischer Kleidung lauter. Traditionelle Sonntagstrachten bleiben zwar bis in die 1980er-Jahre in Gebrauch, doch das Pflegepersonal beginnt, normierte Berufskleidung zu tragen. Heute besteht sie aus Hose und Kasack, einem blusenartigen Kittel.

Wenn der Patient zweimal klingelt…

Lichtrufanlagen, Pager und Freisprechanlagen – heute gibt es ausgeklügelte Systeme, damit Patientinnen die Pfleger im Notfall erreichen. Auch im frühen 20. Jahrhundert sind sie die ersten Ansprechpersonen. Die Räumlichkeiten sind jedoch bereits zu gross, um alle Patientinnen und Patienten im Auge zu behalten. Das Inselspital installiert deshalb eine Rufanlage: Ein elektrischer Schalter bringt die Klappe mit der entsprechenden Zimmernummer zu Fall. Dieses Grundprinzip der Spitalkommunikation hält sich bis heute.

Wie viele Pflegende arbeiten in der Schweiz?

In der Schweiz …

  • … sind 214 000 Personen im Pflegebereich angestellt (Pflegefachpersonal, Helferinnen, Hebammen, Assistenten Gesundheit und Soziales),

  • ... sind vier Fünftel der Stellen von Frauen besetzt,

  • … besitzt mehr als ein Drittel des Personals eine ausländische Staatsangehörigkeit.

In der Schweiz …

  • … arbeitet fast die Hälfte des Personals (46 %) in Spitälern und Spezialkliniken,

  • … ist etwas mehr als ein Drittel des Personals (36 %) in Alters- und Pflegeheimen tätig,

  • … arbeitet etwas weniger als ein Fünftel des Personals (18 %) in der Pflege zu Hause (z. B. Spitex),

  • … verdient eine diplomierte Pflegefachperson, je nach Berufserfahrung,
    4500 bis 7500 Franken pro Monat.

Vorbereiten, informieren, schützen

Der Bronchitiskessel ist ein Wasserverdampfer, der einen Raum oder die Atemwege befeuchtet. In verschiedenen Ausführungen bleibt er bis weit ins 20. Jahrhundert in Verwendung. Bei seiner Benutzung muss das Pflegefachpersonal unterschiedliche Aufgaben ausführen: Nebst dem Aufheizen und der richtigen Platzierung des Kessels instruieren sie die Patienten und schützen sie vor Nässe sowie vor Verbrennungen. Das genaue Vorgehen ist in Pflegehandbüchern festgehalten.

Emanzipation durch Technisierung

Ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts schaffen Krankenhäuser technisch komplexe Apparate an und richten Intensivstationen ein. Diese Technisierung gilt als emanzipatorischer Schritt für die Pflege. Gleichzeitig verliert die Tätigkeit aber auch an Autonomie, da Ärztinnen viele hochspezialisierte Tätigkeiten absegnen müssen. Die Zusammenarbeit zwischen Pflegenden, Ärzten und technischem Personal wird immer wichtiger. Die Neuerungen führen zu einer Erweiterung des Aufgabenbereichs: Pflegefachfrauen sind nicht mehr ausschliesslich für die Grundpflege zuständig, sondern überwachen Vitalfunktionen der Patienten und Patientinnen und bedienen die neuen Geräte. In spitalinternen Weiterbildungskursen wird das notwendige technische Know-how vermittelt. Diese Kurse stehen beispielhaft für die Professionalisierung, die die Pflege ab den 1980er-Jahren prägt.

Beatmung

1958 richtet das Inselspital die erste Intensivstation der Schweiz ein. Dort kommen maschinelle Beatmungsgeräte, wie der sogenannte Engström-Respirator, zum Einsatz. Die Bedienung der komplexen Geräte fällt in den Aufgabenbereich der Pflegefachpersonen, die sich auch weiterhin um die Grundversorgung der Patientinnen kümmern und die Angehörigen betreuen. Viele Pflegende identifizieren sich mit diesem medizinischen Fortschritt, doch es gibt auch kritische Stimmen, die eine «Entmenschlichung» der Pflege befürchten.

Präzises Handeln

Als sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Intensivmedizin etabliert, kommt es innerhalb der Krankenpflege zu einer Spezialisierung. Pflegende, die auf Intensivstationen arbeiten, benötigen eine Zusatzausbildung und geniessen darum hohes Ansehen. Eine ihrer Aufgaben ist die Bedienung von Absauggeräten, um die Atemwege freizuhalten. Dazu müssen sie bei intubierten Patienten die künstliche Beatmung unterbrechen. Dabei ist schnelles und zugleich vorsichtiges Handeln gefragt.

Intimsphäre und Tabus

Die Grundversorgung kranker und pflegebedürftiger Menschen bleibt ein wichtiger Bestandteil der Pflegetätigkeit. Brauchen Patientinnen Unterstützung beim Essen und Trinken, bei der täglichen Hygiene oder bei Ausscheidungen, hilft das Pflegefachpersonal. Dabei kommen sie den Patienten sehr nahe, müssen jedoch gleichzeitig deren Intimsphäre wahren. Dies erfordert viel Feingefühl und Geschick, auch aufgrund räumlicher Gegebenheiten. Ekel dürfen Pflegende ebenfalls nicht zeigen. Diesen Herausforderungen stellt sich das Pflegefachpersonal täglich. Dabei müssen sie bestehende gesellschaftliche Konventionen umgehen, denn Tabus rund um menschliche Ausscheidungen, Nähe und Distanz können in der Pflege nicht eingehalten werden.

Essen und Trinken

Sind Pflegebedürftige nicht in der Lage, sich eigenständig und mit herkömmlichem Geschirr zu ernähren, brauchen sie Unterstützung. Schnabeltassen sind eigens dafür angefertigt: Die Patientin kann in halbliegender Position trinken, ohne etwas zu verschütten. Der seitliche Griff erlaubt dem Kranken, die Tasse selbst in die Hand zu nehmen. Ist der Griff hinten angebracht, führt das Pflegepersonal die Tasse zum Mund. Schnabeltassen sind oft weiss und signalisieren so klinische Reinheit.

Unterstützung bei einem Tabuthema

Wenn nötig, hilft der Pfleger beim Gang zur Toilette. Toiletten- oder Nachtstühle gehören seit dem 19. Jahrhundert zur Pflege. Lange Zeit bestehen sie aus Holz oder Porzellan. Erst mit den Bemühungen, die hygienischen Verhältnisse zu verbessern, ändern sich Ende des 19. Jahrhunderts die Materialen: Toilettenstühle sollen leicht zu säubern und keimfrei sein. Neuere Modelle bestehen meist aus einfach zu reinigendem Stahl und Kunststoff. Ebenso verfügen sie über festmontierte Rollen, die frühe Modelle nicht haben.

Urinflasche ist nicht gleich Urinflasche…

Urinflaschen gehören seit dem 19. Jahrhundert zum pflegerischen Alltag. Um 1900 existieren unterschiedliche Modelle, deren Vorzüge die Pflegenden kennen. Sie wissen, dass Flaschen mit länglichem Hals für Männer, die mit einer ovalen Öffnung für Frauen sind. Textilbezüge sind zwar angenehm, bei mehrmaligem Gebrauch jedoch unhygienisch. Modelle aus Zinn sind anfällig für Krustenbildung, Glasflaschen leicht zu reinigen und hygienisch. Heute bestehen Urinflaschen aus Kunststoff – sie sind robust und günstig in der Herstellung.

Waschen und reinigen

Können sich die Patientinnen selbst nicht reinigen, unterstützt oder übernimmt das Pflegepersonal diese Aufgabe. Es gibt standardisierte Abläufe: Die Pflegefachfrau taucht das Waschtuch ins Waschbecken, beginnt beim Kopf und endet im Intimbereich. Doch auch eine so grundlegende Tätigkeit unterliegt Veränderungen: Ab den 1970er-Jahren führen neue Konzepte, wie etwa die basale Pflege, zu einer Anpassung der Körperwaschung. Ebenso ändern sich die Materialien: Heute werden oft Einmalwaschlappen aus Zellulose verwendet. Sie sind praktisch und hygienisch, werden jedoch von einigen Pflegenden nicht gerne verwendet, da der Patient weniger daran gewöhnt ist.

Berühren und Abgrenzen

Ohne Körperkontakt sind pflegerische Tätigkeiten nicht möglich. Keine andere Berufsgruppe der Medizin arbeitet so nahe am ganzen menschlichen Körper wie die Pflege. Anders als Fachspezialistinnen, wie etwa Gynäkologinnen, berühren Pflegende den gesamten Körper und nicht nur gewisse fachspezifische Bereiche. Braucht eine Person Unterstützung beim An- oder Auskleiden, der Körperpflege oder der Einnahme einer gewünschten Position, ist enger Körperkontakt nicht zu vermeiden. Die Tabus des Alltags sind damit zwangsläufig aufgehoben. Um diese Herausforderung zu meistern, ist Kommunikation ebenso wichtig wie die Berührung selbst.

Ein intimer Eingriff

Kann ein Patient kein Wasser lassen, wird mit einem Katheter ein Zugang zur Harnblase gelegt. Katheter bestehen zunächst aus Tierhäuten, später aus Metall, ab dem 19. Jahrhundert aus Kautschuk und heute aus PVC, Latex oder Silikon. Dadurch soll das hohe Infektionsrisiko gesenkt werden. Einen Blasenkatheter zu legen, ist ein sehr intimer Eingriff, der nur von entsprechend geschultem Pflegefachpersonal ausgeführt werden darf.

Liegen und Lagern

Bis weit ins 20. Jahrhundert liegen Patientinnen lange im Bett. Dadurch können sich Druckgeschwüre bilden. Um diesen vorzubeugen und Körperstellen berührungsfrei zu lagern, verwendet das Pflegepersonal Luftkissen. Erste Modelle sind vermutlich aus Leder oder Tierblasen. Seit 1839 kann aus Naturkautschuk elastischer, formfester Gummi hergestellt werden. Solche Gummikissen finden schnell Eingang in die Pflege und bleiben bis in die 1990er-Jahre im Einsatz.

Schutz oder Nähe

Um sich vor Infektionen zu schützen, ziehen sich Pflegende Einmalhandschuhe an. Erst im Zuge der AIDS-Pandemie, in den 1980er-Jahren, werden Latexhandschuhe zum Standard. Zuvor hat die Pflegerin bei der Intimpflege oder auf der Intensivstation mit dünnen Plastikhandschuhen gearbeitet. Bis heute bleiben Einmalhandschuhe wegen fehlender Nähe umstritten. Bei gewissen pflegerischen Tätigkeiten, wie etwa der Körperpflege bei Babys, verzichtet das Pflegepersonal teilweise darauf.

Auswahlbibliografie

  • Artner, Lucia; Atzl, Isabel; Depner, Anamaria et. al. (Hg.) (2017): Pflegedinge: Materialität in Pflege und Care, Bielefeld.

  • Braunschweig, Sabine (Hg.) (2006): Pflege – Räume, Macht und Alltag, Zürich.

  • Hallett, Christine E.; Nolte, Karen (2019): Crossing Boundaries: Nursing, Materiality and Anaesthetic Practice in Germany and Britain, 1846-1945, in: European Journal for Nursing History and Ethics, S . 40-66

  • Joris, Elisabeth; Roth, Sabina; Bott, Sandra; Nydegger, Jolanda (Hg.) (2021): PflegeKrisen, Traverse: Zeitschrift für Geschichte, Zürich.

  • Rüedi, Elisabeth (2008): Die Pflege und das Pflegemanagement in ständigem Wandel : Geschichte der Krankenpflege im Inselspital 1954-2004, Zürich.