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Sammlungsgeschichten: Entsammeln



12 febbraio 2024



Sammeln, aufbewahren, vermitteln - und entsammeln?

Am 24. August 2022 nahm eine grosse Mehrheit an der Generalkonferenz des Internationalen Museumsrats ICOM eine neue Museumsdefinition an. Der Abstimmung ging ein längerer Aushandlungsprozess voraus. Wichtigste Neuerung: Die aktuelle Definition betont die Bedeutung von Inklusion, Teilhabe und Nachhaltigkeit für die Museumsarbeit.

Das Sammeln bleibt auch in dieser neuen Fassung eine zentrale Aufgabe von Museen. Dies leuchtet ein. Denn ohne zu sammeln, können die Institutionen weder bewahren noch vermitteln. Doch darf ein Museum oder eine Sammlung Objekte auch aussondern? Die Aussonderung von Objekten war tatsächlich lange ein Tabuthema. Doch inzwischen hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass es auch zur Sammlungspflege gehört, Objekte ausscheiden zu können – allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen und nach klaren Richtlinien.


Gründe für eine Entsammlung

Das Institut für Medizingeschichte der Universität Bern betreut vier Sammlungen: die Sammlung des Inselspitals, die Institutssammlung, eine Brillensammlung sowie die pharmakognostische Sammlung. Sie umfassen insgesamt über 10'000 inventarisierte Objekte. Die Medizinsammlung nimmt nun einen bevorstehenden Umzug zum Anlass, potentielle Deakzessionsobjekte zu bestimmen und so das Sammlungsprofil zu schärfen. Zwei wichtige Voraussetzungen dafür sind gegeben: Es besteht ein Überblick über die Sammlung. Zudem liegt ein Sammlungskonzept vor, das festlegt, welche Objekte in die Sammlung gehören – und welche nicht.

Sammlungen oder Museen können nicht einfach wahllos Objekte entsorgen. Sie müssen sorgfältig Gründe für und Gründe gegen eine Entfernung aus der Sammlung abwägen. In der Medizinsammlung sprechen folgende Gründe in manchen Fällen für eine Entsammlung: Einige Objekte sind überrepräsentiert, beschädigt, unvollständig, nicht dokumentiert, beinhalten Schadstoffe oder passen schlicht nicht ins Sammlungskonzept. Für jedes einzelne der fraglichen Objekte gilt es jedoch zu berücksichtigen, dass sie Teil der Sammlungsgeschichte sind, dass ein möglicher Wissensverlust mit der Entsammlung einhergeht und eine leichtfertige Deakzession den Ruf einer Sammlung als bewahrende Institution schädigen kann.


Polstersessel, Uhrwerk und Beatmungsgeräte

Die Medizinsammlung diskutiert schon länger, wie sie mit Objekten umgehen soll, die keinen direkten medizinischen Bezug haben. Ein Beispiel ist Büromobiliar. Gemäss Sammlungskonzept interessiert sich die Medizinsammlung auch für Objekte des Spitalbetriebs jenseits der Medizin – aus Warte- und Patient:innenzimmern oder Hotellerie. Dieser Bereich macht jedoch nicht den Kern der Sammlung aus und so stellt sich die Frage, wie etwa mit Bürostühlen umzugehen ist – insbesondere, wenn sie schlecht dokumentiert sind, die Herkunft unklar oder gleich ein ganzes Set vorhanden ist. Gehört beispielsweise ein Bürostuhl der 1930er Jahre ohne jede Angabe zur Nutzung in die Sammlung? Und was ist mit den edlen Polstersesseln aus dem Direktionszimmer des Inselspitals, die aber gleich in sechsfacher Ausführung vorhanden sind – müssen alle aufbewahrt werden?



Gepolsterter Stuhl aus dem Sitzungszimmer der Insel-Direktion, um 1958


Ein anderes Beispiel, das bei einem Besuch im Depot sofort ins Auge fällt: Ein massives Uhrwerk inklusive gusseiserner Glocke. Es ist offensichtlich, dass das Objekt keine medizinische Verwendung hatte. Stammt es vielleicht aus der Inselkappelle? Möglich – aber wir wissen es nicht. Weder dazugehörige Dokumente noch Inschriften auf dem Objekt geben Auskunft.



Uhrwerk mit gusseiserner Glocke - eventuell aus der Inselkapelle, o. J. (Medizinsammlung Inselspital Bern, Inv.-Nr. 10352)


Eine Reihe ähnlicher Objekte, von unterschiedlichen Herstellern oder in chronologischer Abfolge, ist für eine Sammlung sehr reizvoll. So lassen sich Entwicklungen besonders gut darstellen. Wenn sich hingegen beispielsweise zwei identische Beatmungsgeräte in der Sammlung befinden, stellt sich die berechtigte Frage, ob es sinnvoll ist, beide langfristig aufzubewahren. Leichtfertiges Entsammeln ist jedoch auch in diesem Fall nicht angezeigt. Denn die zwei Exemplare geben durchaus Auskunft über eine interessante medizinische Entwicklung. Nämlich, dass im Kinderspital seit den 1970er Jahren eine ganze Reihe von identischen Beatmungsgeräten standardmässig zur Verfügung stand.



Wie geht man identischen Modellen um? Vom Beatmungsgerät "Carba" befinden sich zwei nahezu identische Exemplare in der Sammlung (Medizinsammlung Inselspital Bern, Inv. Nr. 10022)


Alle Fälle prüfen wir genau, recherchieren, falls notwendig nach– etwa ob das Uhrwerk der Kapelle ersetzt wurde – und wägen ab. Erst dann entscheiden wir, ob das fragliche Objekt in der Sammlung verbleibt oder nicht.




Wohin damit?

Die Identifizierung der Objekte ist nur ein erster Schritt. Die Sammlung muss nun entscheiden, wie sie mit den ausgesonderten Objekten vorgehen will. Zunächst besteht die Möglichkeit, die Objekte in eine sogenannte Ersatzsammlung zu übernehmen. Diese können dann beispielsweise ohne konservatorische Bedenken während Führungen als Hands-on-Objekte genutzt werden. Wenn sich Objekte dafür nicht eignen, landen sie aber nicht einfach im Abfalleimer. Sie müssen anderen Museen und Sammlungen angeboten werden. Dazu kontaktiert die Medizinsammlung andere (medizinhistorische) Institutionen.  

Erst nach diesen Abklärungen ist ein Verkauf möglich – wiederum nur unter gewissen Bedingungen. So muss gemäss ICOM-Richtlinien beachtet werden, dass der Erlös wieder der Sammlung zugutekommt und etwa für Neuerwerbungen eingesetzt wird.

Bei weitem nicht alle Objekte eignen sich für den Verkauf. Ein Sonderfall sind human remains wie Knochen oder Feuchtpräparate. Nach besonders sorgfältiger Abklärung zur Herkunft müssen diese würdig bestattet werden. Auch Schadstoffe sind in einer medizinhistorischen Sammlung ein Thema: Objekte können beispielsweise Quecksilber oder Asbest enthalten, die selbstverständlich umweltgerecht entsorgt werden.

Entscheidender Bestandteil einer solchen Deakzession: Der gesamte Prozess wird dokumentiert, sodass er nachhaltig nachvollziehbar bleibt. Folgt man diesem Ablauf und den Richtlinien, dann kann es also durchaus vorkommen, dass eine Sammlung – ausnahmsweise – nicht Objekte aufnimmt, sondern weggibt.


Auswahlbibliographie

Schweizer Simon: Deakzession: Empfehlungen und Entscheidungshilfen (Verband Schweizer Museen), o.O. 2018.

Koordinierungsstelle für wissenschaftliche Universitätssammlungen in Deutschland: Empfehlungen zu Aussonderung und Deakzession in wissenschaftlichen Universitätssammlungen, Berlin 2018.