Verschieben
Die Pandemie stellte Spitäler nicht nur vor epidemiologische, sondern auch vor organisatorische Herausforderungen. Kliniken mussten Termine verschieben, Ärzt:innen zwischen dringlichen und weniger dringlichen Eingriffen abwägen, Personalverantwortliche Teams neu einteilen oder Dienstzeiten ausweiten. «Team-Work» und Flexibilität bekamen eine neue Bedeutung. Diese Massnahmen sollten das Ansteckungsrisiko innerhalb klinischer Abteilungen minimieren oder Personalausfälle kompensieren. Auch im Hintergrund des Spitalbetriebs kam es zu Verschiebungen. Lieferanten konnten Termine nicht einhalten, zugesicherte Waren kamen nicht rechtzeitig und die Lagerbestände schwankten ebenso wie der Bedarf an Lagerflächen. Es brauchte mehr Platz für Waren – wie auch für das Personal zu Pausenzeiten. Das Spital mietete zusätzliche Flächen, verschob Festbänke und funktionierte sogar Kapellen um. Eingeschränkte Besuchsregelungen und reduzierte Sitzplätze beruhten auf Organisation und Kontrolle. Für viele Mitarbeitende und Besucher:innen waren sie mit Einschränkungen und Mehraufwand verbunden. Für andere bedeuteten sie jedoch Ruhe, Stille und Entschleunigung.
Einteilen und umplanen
«Im Februar, März, während vier Wochen, haben wir auf 12-Stunden-Schichten umgeschaltet. Damit sich Teams nicht kreuzen. Wir haben umgestellt und Teams halbiert in Team A und Team B. Team A hat 7 Tage gearbeitet, Team B hat 7 Tage freigehabt und dann haben wir gewechselt. So haben wir versucht, Übertragungen zu verhindern und zu verhindern, dass grosse Gruppen aufs Mal ausfallen. Denn man hat gewusst, wenn die sich innerhalb der 7 Tage, an denen sie arbeiten, anstecken, sind sie nachher 7 Tage eh weg. So haben wir dann während vier Wochen gearbeitet. Man hat so ein bisschen das Gefühl gehabt, verbündet zu sein. In Gruppe A und Gruppe B. Denn es ist hart 12 Stunden zu arbeiten, vor allem 12 Stunden Nachtwache zu machen. 12-Stunden-Tag geht noch, aber am Abend um 7 Uhr auf die Nacht kommen, ist einfach streng. Aber es hat uns so ‹echli› verbündet.»
(Interview Hebamme Geburtshilfe, 05.12.2022)
«Wir haben in der ersten Phase sehr viele ehemalige Pflegende angeschrieben und wirklich gestaunt, wie viele sich gemeldet haben. In der ersten Welle ist die Solidarität riesig gewesen. Da einzelne schon einige Jahre weg waren aus der Intensivpflege, mussten wir sie nach Können einteilen und haben wie militärische Gradabzeichen zugeteilt, A1, A2, A3. So wussten wir: A1 kann z.B. beatmen, A3 nur Medikamente aufziehen. Wir sind auch auf Zweischicht-Betrieb gegangen, arbeiteten 12 Stunden durch. Im Team gab es die, die das befürwortet haben, und die, die gesagt haben: So kann ich nicht arbeiten, da bin ich total kaputt nachher.»
(Interview Intensivmedizin, 24.01.2023)
Reduzieren und kontrollieren
«Wir haben überall Sitzplatzzahlen reduzieren müssen, wie ein Restaurant. Das Restaurant ganz oben im Bettenhochhaus war auf einmal kein bedientes Restaurant mehr, sondern Selbstverpflegerfläche. Weil die Leute aufgrund der Reduktion der Sitzplatzzahlen nicht mehr alle gleichzeitig in den Restaurants Mittagessen konnten, haben sich viele Essen von zu Hause mitgebracht. Die reformierte Kapelle wurde als Extrafläche zum Essen mit Festbankgarnituren eingerichtet. Da war viel Logistik dahinter und reine Improvisation in dem Moment. Wir haben Fläche gebraucht und sie in der Kapelle gefunden.»
(Interview Hotellerie, 11.01.2023)
«Damit die geforderten Sicherheitsabstände im Restaurant eingehalten werden konnten, musste die Bestuhlung reduziert und dadurch die Abstände zwischen den Sitzplätzen erweitert werden. Die Einhaltung dieser Abstände wurde mit zusätzlichem Ordnungspersonal überprüft und durchgesetzt. Grosse Herausforderung war der Entscheid der Behörden, eine generelle Zutrittskontrolle innerhalb weniger Arbeitstage – über das Wochenende – einzuführen. Es gibt andere Spitäler, die haben einen Haupteingang und vielleicht zwei oder drei Nebeneingänge. Das Inselspital umfasst ein Areal mit mehr als 50 Gebäuden und mehreren Haupt- und Nebeneingängen, auf dem innerhalb kurzer Zeit die Personen auf die definierten, offenen Eingänge geleitet werden mussten Für die Umsetzung dieser Zutrittskontrolle musste das Sicherheitspersonal um weitere 10 Personen verstärkt und geschult werden. Durch konzeptionelle Vorarbeit und Information wurden die Zutrittskontrollen und Zutrittsbeschränkungen gut akzeptiert.»
(Interview Abteilung Sicherheit, 18.01.2023)
Beschaffen und aufbauen
«Die Einkaufsaktivitäten sind extrem hinaufgefahren worden und es wurde das beschafft, was auf dem Markt noch in der verlangten Qualität zu haben war, in Mengen, die verfügbar waren. Das hat bei uns dazu geführt, dass unser durchschnittlicher Lagerwert um den Faktor 4 bis 5 gestiegen ist. Also wenn wir z.B. hier für 2 Millionen Ware an Lager hatten, war es in der Covid-Spitzenzeit für 10 Millionen. Das bezieht sich zwar auf den finanziellen Wert, die Ware muss aber trotzdem auch irgendwo gelagert werden. Da hatten wir ein Wahnsinnsglück, dass wir hier im Haus ca. 2'000 m2 Fläche innert kürzester Zeit dazu mieten konnten. Wir sind von Covid, wie viele andere, relativ hart überrascht worden, wie schnell die Pandemie plötzlich vor dem Haus stand und sogar im Haus war. Wir haben uns ein wenig in Sicherheit gewiegt, da wir ein Pandemielager angelegt hatten, schon Jahre vorher. Schweinegrippe, Hühnergrippe und was alles war, hat uns dazu bewogen, ein Pandemiesortiment zu bilden. Dort waren einige Artikel drin an Schutzmaterialien: Handschuhe, Kittel, aber auch Masken. Wir haben uns in der ersten Zeit von Covid auch ein bisschen blenden lassen, im Wissen, dass ein Lieferant ca. 800'000 Masken auf Vorlager hält, also für uns bereithält. Aber als der Moment gekommen ist und wir sie wollten, waren sie doch nicht so schnell verfügbar. Das Pandemielager wurde durch diese Covid-Erfahrung neu durchleuchtet. Das sind überraschend wenig Artikel, ca. 8. Aber der Vorrat, den wir dort haben, ist immens. Wir fahren dort auf fast 8 Monate Sicherheit. Das sind Schutzkittel, Handschuhe in drei Grössen, das sind Masken in FFP2-Qualität plus die Standardhygienemaske, Schutzbrillen. Die belegen unser Lager mit 300 Paletten. Dort haben wir uns wahnsinnig fit gemacht, alles ist in eigenen Lagern vor Ort und wir haben kein Stück mehr extern.»
(Interview Zentrallager Beschaffung + Logistik, 11.01.2023)
«Was sicher geblieben ist: Das Pandemielager. Man hat nochmals ganz klar überlegt: Was braucht es? Man hat vor der Pandemie, von Ebola und so, schon ein Lager gehabt, aber das sind ganz andere Dinge gewesen, Vollkörperschürzen, die man nicht brauchen konnte. Auch die Handhabung des Pandemielagers: Dass man es rollierend macht, sodass dort nichts abläuft. Lagerbestände auch wieder ins Haus nimmt, und nicht nur bei den Lieferanten lässt. Weil wenn nichts mehr über die Grenze kommt, dann bringt´s nichts, wenn man irgendwo in Deutschland Lager beim Lieferanten hat. Wir sind auch dran eine Never-out-of-Stock-Liste aufzubauen, wir mit den Kliniken schauen, welche die ganz kritischen Produkte sind, die sie brauchen, um Patient:innen zu versorgen. Damit wir diese konsequent an Lager nehmen. Seit der Pandemie ist man viel sensibler, geht viel mehr auf Planung, arbeitet mit Prognosen und reagiert nicht erst, wenn Bedarf da ist. Man arbeitet viel vorausblickender und ist im Austausch mit den Kliniken noch einmal zusammengerückt. An dieser Pandemie sind wir auch gewachsen.»
(Interview Zentrallager Einkauf, 11.01.2023)
Ruhen und stillen
«Die Ruhe ist mir am meisten in Erinnerung. Es wurden Abteilungen geschlossen und nur noch Intensivstation und Notfall waren offen, die Leute haben angefangen Homeoffice zu machen und dieses total bevölkerte Spital – Hektik ohne Ende – tausende Leute jeden Tag, hallo, hallo, Mittagessen hier, Kaffee hier, war leergeräumt. Dieses Leergefegte ist mir sehr in Erinnerung geblieben. Auf einzelnen, betroffenen Stationen war schon sehr viel los, aber von aussen betrachtet: Restaurants leer, alle Mitarbeitenden zu Hause, das war aussergewöhnlich.»
(Interview Medizinethik, 24.01.2023)
«Wegen der eingeschränkten Besuchsregelung gab es schon negative Rückmeldungen von Frauen, aber was wir beobachten konnten, war total gut. Wir hatten viel weniger Brustentzündungen, viel besseres Stillmonitoring, viel zufriedenere Kinder, viel zufriedenere Mütter. Eigentlich hätte man das beibehalten sollen. Was wir daraus gezogen haben, ist eine Ruhestunde, während der die Wöchnerinnen am Mittag eine Stunde lang wirklich nicht gestört werden. Weder vom Personal, noch von Besuch, noch von ‹irgendöppis.›»
(Interview Geburtshilfe Hebamme, 05.12.2022)