Aushalten
Eine Krise wie die Corona-Pandemie verlangte viel – von den Patient:innen, aber auch von den Mitarbeiter:innen eines Krankenhauses. Das Inselspital reagierte mit innovativen Ansätzen und setzte auf pragmatische Umsetzung. Neben organisatorischen Massnahmen waren aber auch andere Qualitäten gefragt. Mitarbeitende mussten Mehrbelastung, Dauerstress, Monotonie und Warten aushalten. Sie wurden mit Unsicherheiten und Angst konfrontiert – der von Patient:innen, wie auch der eigenen. Das Pflegepersonal, die Ärzt:innen, das Backoffice – sie rückten zusammen, unterstützten und halfen sich gegenseitig – über Wochen, Monate, Jahre. Was bleibt sind Narben der Dauerbelastung, Bruchstellen, wo unterschiedliche Positionen aufeinandertrafen, das Gefühl von «Wir schaffen das!», aber auch der Frust aufgrund der nur flüchtigen Solidarität.
Abwarten und fordern
«Wir sind in einer Vorhalteleistung gewesen und mussten bereitstehen und bei Bedarf Betten zur Verfügung stellen. Betten, die nicht immer gebraucht wurden. Das ist auch anstrengend gewesen. Phasenweise nicht zu arbeiten, zu warten. Auszuhalten. Als Covid-Station hatten wir andere Patient:innen, ganz andere Krankheitsbilder als sonst. Wir leben hier von der Komplexität und Vielfalt der inneren Medizin und hatten dann plötzlich eine Station mit Patient:innen, die alle das Gleiche hatten. Das wurde monoton und auch bisschen langweilig, immer Atemfrequenz messen, Sauerstoff, Fieberwaschungen, … Als dann die Impfung kam, war die Auseinandersetzung mit unserer Haltung gegenüber ungeimpften Patient:innen herausfordernd und geprägt von vielen, auch sehr emotionalen, Diskussionen.»
(Interview Innere Medizin, Covid-Station, 24.01.2023)
«Innert kürzester Zeit mussten wir die Versorgung der Hygienestelen mit Masken sowie Händedesinfektionsmittel auf dem ganzen Inselareal aufbauen und sicherstellen. Während Stosszeiten galt es die Haupteingänge im Halbstundentakt oder sogar öfter zu bedienen. In der ersten Phase der Versorgungsknappheit stellten wir einen überproportionalen Schwund fest, der nicht nur durch den betrieblich notwendigen Bedarf erklärbar war. Eine weitere Herausforderung stellten für uns die zusätzlichen Wischdesinfektionen dar, die plötzlich von allen Seiten gefordert wurden. Wir hielten uns konsequent an die Vorgaben der Spitalhygiene und setzten uns damit teilweise heftiger Kritik aus, weil einige klinische Einheiten noch mehr Leistungen einforderten. Auch andernorts veränderte sich der Dienstleistungsbedarf. Viele Mitarbeitende nahmen ihr Essen nicht mehr in den Kantinen, sondern in ihren Büros ein. Dadurch hatten wir x-mal mehr Abfall durch Pizzaschachteln und Wegwerfgeschirr, die von uns zusätzliche Entsorgungstouren forderten.»
(Interview Reinigung und Spezialreinigungen, 24.01.2023)
Aushelfen und ausbrennen
«Es gibt schon auch Narben. Vor allem durch die lange Belastung und die vielen Änderungen. Zu Beginn war grosser Teamgeist vorhanden. Bei denen, die teils ausserhalb ihrer vertrauten Arbeitswelt intensiv und über lange Zeiträume helfen gehen mussten und übermässig gefordert wurden, ist der Wille zu helfen vielleicht aber auch gesunken. Einmal macht man es, aber mehrmals… Unsere Anästhesiepflege ist sehr fest auf die Intensivstation helfen gegangen und das sind Leute, die sich nach ihrer Pflegeausbildung bewusst nicht für Intensivmedizin, sondern für Anästhesie entschieden haben. Denn es sind ganz andere Arbeitswelten.»
(Interview Kataplan, 02.02.2023)
«Es war ein Dauerstress. Es ist die ganze Zeit so viel gelaufen, wir konnten gar nie ausruhen, schon ist die nächste Welle gekommen und wir mussten nochmals rauffahren. Eine bestimmte Anzahl Leute bei uns ist über zwei Jahre am Limit gelaufen. Andere Disziplinen (Anästhesie; Bettenstationen) sind bei uns aushelfen gekommen, aber je länger alles ging, umso weniger wollten kommen. Einige waren nach einem Jahr noch einmal bei uns aushelfen, dann wollten sie nicht mehr. Die meisten arbeiten im Normalfall bewusst nicht als IPS-Pflegende. Bei uns auf der Intensivstation liegen Patient:innen durchschnittlich knapp 24h oder 1-2 Tage. Die Covid-Patient:innen hingegen lagen mindestens 3, 4, 5 Wochen bei uns, mit aufwendigster Therapie wie Beatmung, Dialyse, ECMO. Mit den vielen Patient:innen und den aufwendigen Therapien sind auch die Materialverbräuche massiv gestiegen. Es waren Riesenmengen an Verbrauchsmaterialien und Arzneimittel, Tag für Tag. Zum Beispiel Betäubungsmittel für die Schmerztherapie: Im Normalfall ist der Tagesverbrauch von 50ml Morphin oder Fentanyl-Stechampullen vielleicht bei 5 Fläschchen pro Tag. Plötzlich waren das Mengen bis zu 40 Fläschchen im Tag, die wir zwei Mal am Tag ersetzen mussten. Es waren einfach unglaubliche Mengen an Materialverbrauch. Und alles ist knapp geworden.»
(Interview Intensivmedizin, 24.01.2023)
Fühlen und denken
«Ich glaube das fassbarste, oder nicht-fassbarste Objekt war Angst. Wir Notfallmediziner:innen kennen das Gefühl, weil fast alle Menschen, die zu uns kommen Angst haben. Während Corona trafen wir auf viele Menschen, die vorher noch nie existenzielle Angst erlebt haben, und sich plötzlich total hilflos fühlten. Angst und Unsicherheit prägten ein Land, das das so nicht kannte, denn die grossen Katastrophen, Kriege und Krisen der letzten Jahrhunderte gingen an der Schweiz immer knapp vorbei. Zum ersten Mal war es so, dass egal wie viel Geld man hatte, man sich Covid nicht entziehen konnte. Ich glaube die grosse Solidarität uns gegenüber war auch ein Produkt dieser Unsicherheit und Angst. Weil jetzt, Monate später, schlägt uns erneut viel Wut entgegen, die gleiche Ungeduld, und genauso wenig Verständnis, wie davor. Während der ersten Welle konnte man die Angst mit dem Messer schneiden, so dick lastete die auf uns, obwohl die Schweiz während der ersten Welle eine der niedrigsten Mortalitätsraten europaweit hatte. Dann kam der Sommer 2020. Während andere Länder harte Lockdowns weiterführten, machte die Schweiz auf. In der zweiten Welle hatten wir eine der höchsten Mortalitätsraten in Europa, aber niemand redete mehr darüber.»
(Interview Notfall, 18.01.2023)
«Das Frustrierendste an dieser ganzen Pandemie ist, dass sich eigentlich nichts geändert hat. Ich hatte das Gefühl, dass es vielleicht ein Umdenken gibt in der Sicht, wie wichtig eine Reinigungskraft ist, oder jemand in der Gastronomie, der unter erschwerten Bedingungen ein Menü hinzaubert. Aber wir sind beim Ansehen wieder dort, als wenn nie etwas passiert wäre. Alle sind zurück in ihrem Königreich, die Zudienenden sind wieder Zudienende. Das ist für mich schockierend: wie wenig im Denken passiert ist. Wie wir einfach zurück in den Alltag sind. So schnell wie die ganze Sache aufgepoppt ist, ist sie jetzt wieder durch.»
(Interview Schrift und Malerei, 02.02.2023)
«Triage an sich war nicht neu. Das war für unsere Intensivmediziner:innen ein bisschen schräg, die dann gesagt haben: Triage, das machen wir jeden Tag! Für die ist das völlig klar, sie haben Kriterien, kriegen die beigebracht, aber dass diese Sachen auf einmal in die Öffentlichkeit kamen, dass auf einmal alle zukucken und mitreden wollen, das war neu. So eine Krise zu erleben und zu kucken, wie Leute mit Unsicherheit und Ohnmacht umgehen, das war neu.»
(Interview Medizinethik, 24.01.2023)
Brechen und funktionieren
«Auf einmal gab es diese vulnerablen Bevölkerungsgruppen und nicht-system- und systemrelevante Berufe. Mir wurde gesagt, ich hätte einen nicht-systemrelevanten Beruf. Ich fand auch das Konzept des Social Distancings total schlecht gewählt, weil wir wollten ja eigentlich ein Physical Distancing und kein Social Distancing. Wir wollten ja nicht die Einsamkeit vorantreiben. Mich hat noch überrascht, wie schnell neue Begriffe eingeführt wurden. Diese Bruchstellen haben mich auch sehr umgetrieben, zwischen den Leuten, die an die Medizin glauben, und sagen: Okay, wir gehen jetzt Richtung Impfung und denjenigen, die sich rebellisch dagegengestellt haben. Und diese Bruchstelle ging halt auch durchs Spital.»
(Interview Medizinethik, 24.01.2023)